Das bisherige Stromsystem wurde mithilfe gespeicherter Energie aus fossilen Brennstoffen betrieben. Diese wurden in zentralen Kraftwerken verbrannt, wann immer Strom benötigt wurde; eine Steuerung der Verbraucher war nicht notwendig.
Mit der Photovoltaik und Windkraft stehen heute kostengünstige Alternativen zur Verfügung, die eine Abkehr vom fossilen Energiesystem ermöglichen und damit Klima- und Umweltschutz durch vermiedenen CO2 und Schadstoffausstoß. Die Integration dieser beiden fluktuierenden Energiequellen in das Energiesystem gelingt jedoch nur dann effizient, wenn große Verbraucher Anreizsignale oder Steuersignale erhalten, um dem aktuellen Stromangebot weitgehend zu folgen. Nutzt man diese Verfahren nicht, entsteht ein hoher Bedarf an teurer Regelleistung.
Der Begriff „Smart Grid“ steht für die intelligente Ausstattung und Steuerung der Netze, um die zentralen und dezentralen Erzeuger sowie die Verbraucher zu orchestrieren. Als Elemente für den Ausgleich der Fluktuationen sind Speicher und Wandler zwischen den Sektoren Strom, Wärme und Kraftstoffe notwendig. Die intelligente Steuerung dieser Elemente und der Verbraucher ermöglicht eine effiziente Nutzung der bestehenden Verteilnetze, auch bei zunehmendem Strombedarf durch Elektromobilität und Wärmepumpen. Neue Geschäftsmodelle werden möglich, mit denen ein netzdienlicher Betrieb von Anlagen belohnt wird und Speicher bezahlt werden können.
Das ZSW unterstützt Netzbetreiber mit modernen Methoden der Digitalisierung, mit Prognosen und der Anwendung von künstlicher Intelligenz, um den Netzzustand in Verteilnetzen aktuell und für die nächsten 36 Stunden zu visualisieren, zukünftige Engpässe zu identifizieren und Handlungsempfehlungen automatisiert abzuleiten. Zur Vermeidung von Engpässen erhalten Verbraucher Regeln und Anreize. So sorgt zum Beispiel die gezielte Steuerung von Ladesäulen unter Nutzung der langen Standzeiten von Elektroautos für eine stark reduzierte Netzlast und trotzdem hohe Fahrbereitschaft der Elektroautos.
Anschlussnetze verteilen zunehmend Strom aus dezentraler Einspeisung zum nächstgelegenen Verbraucher und speisen den regional überschüssigen Strom aus Photovoltaik, Windkraft oder Blockheizkraftwerken zurück in die Übertragungsnetze. Je nach Wettersituation können hohe Spitzenbelastungen durch dezentrale Einspeisung entstehen, oder hohe Bedarfsspitzen durch zusätzliche Verbraucher wie Wärmepumpen und Elektroladesäulen.
Mit dem Prognosesystem „GridSage“ unterstützt das ZSW Verteilnetzbetreiber und Energiehändler, indem es die Erzeugungsprofile von wetterabhängigen Erzeugern vorhersagt, in verschiedenen Aggregationsstufen räumlich aufgelöst visualisiert und automatisiert der Netzleitwarte zur Verfügung stellt. Die Prognose kann die vielen kleinen Dachanlagen zur Solarstromerzeugung einbeziehen, die im Gebiet eines Stadtwerks die Leistung der Großanlagen auf Industriedächern in der Summe häufig deutlich überschreitet und damit einen signifikanten Anteil der dezentralen Einspeisung ausmachen. Sie wird ergänzt durch die räumlich aufgelöste Prognose des Verbrauchs, womit die Netzleitwarte dann die zukünftige Netzauslastung je nach Schaltzustand des Netzes berechnen kann.
Weitere Arbeiten des ZSW bestehen in der Steuerung von Lasten wie Ladesäulen, Speichern und Quartieren, um Engpässe im Netz durch geeignete Nutzung von Flexibilität zu vermeiden bzw. um einen möglichst hohen Anteil aus erneuerbaren Energien lokal nutzen zu können.
Ersetzt man alle derzeit rund 50 Mio. Kraftfahrzeuge des Individualverkehrs in Deutschland durch Elektroautos, so steigt der Strombedarf in Deutschland um lediglich 10%. Im Schnitt werden die Autos knapp 40 km am Tag bewegt, was einen täglichen Strombedarf von rund 7 kWh entspricht, bei einer Standzeit von rund 22 Stunden am Tag[1], also einem geringem Bedarf an durchschnittlicher Ladeleistung. Jedoch kommt die Mehrzahl der Pendler abends zwischen 18 und 20 Uhr nach Hause, wodurch kurzfristig ein hoher Strombedarf entsteht, wenn man „ungebremstes Laden“ für geringe tägliche Fahrstrecken zulässt.
Andererseits gibt es Kunden, die längere Strecken überwinden wollen, zuhause keinen Zugang zu einer Steckdose haben oder nur selten laden und daher die Infrastruktur von AC-Ladesäulen mit einer Leistung von 11 oder 22 kW oder DC-Ladesäulen mit mindestens 50 kW oder auch deutlich mehr nutzen müssen.
In verschiedenen Projekten analysiert das ZSW die Statistik der Ladebedarfe und erarbeitet Lösungen für die Bewirtschaftung von Ladeinfrastruktur. Dies geschieht durch die Prognose der benötigten Energiemengen und Profile sowie die Einbindung in die Netzinfrastruktur eines Verteilnetzbetreibers bzw. durch eine gezielte Steuerung, um Netzengpässe zu vermeiden.
[1] 2018: 13.700 km pro Jahr und Auto; ingesamt 47 Mio. Autos (siehe Seite 135 in https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/G/verkehr-in-zahlen-2019-pdf.pdf?__blob=publicationFile (17 kWh/100 km angenommen im Schnitt)
Die gesamte Speicherkapazität aller Elektroautos in Deutschland ist eine nicht zu unterschätzende Ressource. Selbst wenn nur 25% der Autos in Deutschland elektrifiziert sind, von diesen 50% am Stromnetz angeschlossen (die Autos sind im Schnitt 22 Stunden nicht bewegt!) und 25% ihrer Batterie für Netzdienstleistungen zur Verfügung stellen, so ergibt sich eine Speicherkapazität von 73 GWh. Damit könnte der Strombedarf in Deutschland auch im Winter für eine Stunde bereitgestellt werden . Umgekehrt kann ein Auto mit 50 kWh Energieinhalt in seiner Batterie den Strombedarf eines Durchschnittshaushalts für 5 Tage bereitstellen.
Es wird sehr deutlich, dass die Nutzung der Ressource „Autobatterie“ für den individuellen Haushalt, etwa zur Erhöhung seines Eigenverbrauchs aus einer lokalen Photovoltaikanlage, oder für das Stromnetz als Ganzen von großem Interesse ist. An der notwendigen Infrastruktur und den Schnittstellen für die Nutzung der Autobatterie für das Netz (Vehicle to Grid) in Form von bidirektionalen Ladesäulen und Leistungselektronik im Auto wird bei verschiedenen Herstellern gearbeitet.
Das ZSW hat sich in verschiedenen Projekten mit den Potentialen der Vehicle-to-Grid-Technologie in Bezug auf das Netz und für den Kunden sowie mit dem Einfluss auf die Batterielebensdauer beschäftigt und bietet Beratung für diese Themenfeld an. Sobald die Technik kommerziell verfügbar ist, werden sich Geschäftsmodelle ergeben, die Kunden, Netzbetreiber und Fahrzeughersteller nutzen können, um von variablen Stromtarifen zu profitieren oder um die Fahrzeugbatterie für Netzdienstleistungen einzusetzen. Mit seinem Knowhow zu Netzen, Batterien und zur Optimierung des Betriebs nach gewünschten Zielgrößen kann das ZSW seine Kunden hier unterstützen.