Im ersten Halbjahr 2022 haben Erneuerbaren Energien rund 49 Prozent des Bruttoinlandstromverbrauchs gedeckt. Das zeigen vorläufige Berechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Fosschung Baden-Württemberg (ZSW) und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch lag damit sechs Prozentpunkte höher als im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres. Insbesondere Windenergieanlagen an Land und Photovoltaikanlagen legten deutlich zu: Sie erzeugten jeweils rund ein Fünftel mehr Strom als im Vorjahreszeitraum. Zu verdanken sind diese Zuwächse vor allem einem windreichen Jahresbeginn im Januar und Februar und zahlreichen Sonnenstunden in Mai und Juni. Auch bei Windenergie auf See und Biomasse gab es leichte Zuwächse. Einzig die Stromproduktion aus Wasserkraft war im Vergleich zum Vorjahreszeitraum rückläufig. „Die sinkenden Gasflüsse aus Russland haben die Energieversorgung in Deutschland in eine Ausnahmesituation gebracht. Der sicherste Weg, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden, ist ein zügiger Ausbau der Erneuerbaren Energien. Sie sind der Schlüssel zu einer grünen Strom- und Wärmeversorgung, einer mit Wasserstoff produzierenden Industrie und einer klimaneutralen Mobilität“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Insbesondere beim Ausbau der Windenergie an Land besteht dringender Handlungsbedarf. Der größte Hemmschuh sind hier noch immer fehlende Flächen. Die Bundesregierung sollte das Zwei-Prozent-Ziel daher möglichst bis spätestens 2025 umsetzen und dafür Sorge tragen, dass die Flächen auch tatsächlich bebaubar sind. Zudem müssen wir die Standorte, die wir schon haben, durch Erleichterungen beim Repowering besser nutzen und unklare Regelungen im Arten- und Naturschutz präzisieren.“
„Angesichts der offensichtlichen Herausforderungen beim Ausbau der Windenergie darf die Photovoltaik nicht aus dem Blick geraten: Mit dem angestrebten Ausbaupfad auf 215 Gigawatt installierter Leistung in Deutschland im Jahr 2030 ist ein nie dagewesenes jährliches Installationsvolumen von 22 Gigawatt pro Jahr ab dem Jahr 2026 zu realisieren. Der hiermit verbundene Umsatz in einer Größenordnung von 150 Milliarden Euro dürfte aber aus heutiger Sicht zu einem großen Teil nach China fließen“, gibt Prof. Dr. Frithjof Staiß, geschäftsführender Vorstand des ZSW zu bedenken. „Diese Abhängigkeit von chinesischen Herstellern – bei Wafern stammen 96 Prozent der Weltmarktproduktion aus China – stellt zudem ein erhebliches Risiko für die Realisierung der ambitionierten, für den Klimaschutz und die Energiesicherheit in Deutschland aber zwingend zu erreichenden Ausbauziele dar. Um das Realisierungsrisiko zumindest mittelfristig zu reduzieren und gleichzeitig deutlich größere Teile der Wertschöpfung nach Deutschland und Europa zu holen, sollte Deutschland aktiv dazu beitragen, ein sogenanntes Important Project of Common European Interest (IPCEI) für die Photovoltaik auf den Weg zu bringen, das von innovativen Herstellungsverfahren bis hin zu zukunfts- und wettbewerbsfähigem Recycling die Wertschöpfungskette der Photovoltaik in Europa neu etablieren soll“, appelliert Staiß. „Denn aus den gleichen Gründen gibt es bereits IPCEIs für Batterien und Wasserstoff, die ebenfalls von herausragender strategischer Bedeutung für den Klimaschutz und die Energiesicherheit in Deutschland und Europa sind.“
Die Erzeugungszahlen im Einzelnen
Im ersten Halbjahr 2022 lag die Bruttostromerzeugung bei 298 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) – ein Anstieg von knapp 2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (1. Halbjahr 2021: 293 Mrd. kWh). Dem stand ein Stromverbrauch von rund 281 Mrd. kWh gegenüber (1. Halbjahr 2021: 283 Mrd. kWh). Insgesamt wurden rund 139 Mrd. kWh Strom aus Sonne, Wind und anderen regenerativen Quellen erzeugt (1. Halbjahr 2021: 122 Mrd. kWh). Davon stammten rund 59 Mrd. kWh aus Wind an Land, knapp 33 Mrd. kWh aus Photovoltaik, knapp 24 Mrd. kWh aus Biomasse, gut 12 Mrd. kWh aus Wind auf See und gut 9 Mrd. kWh aus Wasserkraft. Aus konventionellen Energieträgern wurden knapp 159 Mrd. kWh erzeugt. Im Vorjahreszeitraum waren es gut 170 Mrd. kWh.
Ökostromanteil: Zwei Berechnungsmöglichkeiten
Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch im ersten Halbjahr 2022 beträgt rund 49 Prozent. Den Ökostromanteil am Bruttostromverbrauch zu bemessen, ist die gängige Berechnungsgrundlage. Sie geht zurück auf europäische Vorgaben und steht im Einklang mit den Zieldefinitionen der Bundesregierung zum Ausbau der Erneuerbaren Energien. Der Bruttostromverbrauch bildet das gesamte Stromsystem eines Landes ab. Eine andere Möglichkeit ist, den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung zu messen. Sie umfasst die gesamte in Deutschland erzeugte Strommenge, also auch die exportierten Strommengen. Der Anteil erneuerbarer Energien im ersten Halbjahr 2022 auf Basis der Bruttostromerzeugung beträgt rund 47 Prozent.