Am 23. Juni 2020 besuchte eine hochrangige Delegation um Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und Koordinator der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik, das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Ulm. Die Gruppe wurde begleitet von Ronja Kemmer, Mitglied des Bundestages (Wahlkreis 291 Ulm/Alb-Donau) sowie Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch. Neben Trends aus der Wasserstoff- und Brennstoffzellenforschung wurde das Projekt „HyFaB-Baden-Württemberg“ konkretisiert. Mit dem Vorhaben wird das ZSW eine Forschungsfabrik für Brennstoffzellen bis 2021 in Ulm aufbauen, um die Voraussetzungen für die Industrialisierung der Technologie zu schaffen. Bund und Land wollen sich beteiligen.
Die Mobilität von morgen soll klimaneutral und möglichst emissionsfrei sein. Wasserstoff und Brennstoffzellen bieten ein enormes Potenzial zur CO2-Reduzierung im Verkehr und für die nationale Wertschöpfung. Der Markt für Brennstoffzellenfahrzeuge umfasst den der Reiselimousinen, Lkw, Busse, Züge etc. Um die Technologie in großen Stückzahlen auf den Markt zu bringen, ist eine Industrialisierung der Produktion der Brennstoffzellen-Stacks (engl. stack = „Stapel“) nötig.
Das Projekt „HyFaB-Baden-Württemberg - Forschungsfabrik für Brennstoffzellen und Wasserstoff“ soll die Zulieferindustrie stärken und ein offenes, flexibles Angebot schaffen, um automatisierte Fertigungs- und Qualitätssicherungsverfahren für Brennstoffzellen entwickeln und erproben zu können. Weitere Arbeiten erfolgen zu Fabrikabnahmetests und zu großserientauglichen Inbetriebnahmeprozeduren. Dazu soll das ZSW in Ulm bis 2021 deutlich ausgebaut werden. Das Land Baden-Württemberg beginnt mit dem ersten Schritt zur Realisierung von HyFaB: Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau wird den Aufbau der Forschungsinfrastruktur mit 10,5 Millionen Euro fördern. Das Umweltministerium finanziert erste Forschungsarbeiten im Projekt HyFaB mit insgesamt 7,9 Mio. Euro, davon gehen 3,8 Mio. Euro ans ZSW. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) beabsichtigt, die Produktions- und Prozessforschung über öffentliche Projekte mit der Industrie über die kommenden Jahre mit bis zu 30 Millionen Euro zu fördern. „Wir unterstützen das Ziel von HyFab uneingeschränkt, die Erforschung von Fertigungsprozessen zur Produktion von Brennstoffzellen voranzutreiben“, sagte Bilger. Der Bund sehe darin große Chancen für die deutsche Industrie, man habe vor allem wichtige Branchen wie den Maschinenbau und die Autozulieferer im Blick. „Ulm kann damit seine Bedeutung als bedeutender nationaler Standort in der Brennstoffzellenforschung ausbauen.“ HyFaB wurde zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) und vielen Partnern aus der Industrie entwickelt.
Hochleistungsbrennstoffzellen-Stacks sind komplexe Konstruktionen: hunderte von Einzelzellen, bestehend aus Membran-Elektroden-Einheiten (MEAs) mit 10 Mikrometer dünnen Membranen, müssen mit Bipolarplatten mit knapp 1 Millimeter Bauhöhe und filigranen Gasverteilerstrukturen plus den Gasdiffusionslagen aus porösem Kohlefaservlies aufeinander abgestimmt und zu einem Stapel zusammengefügt werden.
Im Projekt HyFaB soll die für die Großserienproduktion notwendige, neue und automatisierte Fertigungstechnologie entwickelt werden. Die Schaffung der dazugehörigen, standardisierten Qualitätsmethoden ist wesentlich für den Aufbau einer schlagkräftigen Zulieferindustrie und eines kompetenten Maschinenbaus. Auch die Ausbildung von Fachkräften wird ein wichtiger Bestandteil des Projektes sein.
Brennstoffzellenfahrzeuge (Fuel Cell Electric Vehicles, FCEVs) werden über einen Elektromotor angetrieben, die Technik unterscheidet sich aber deutlich vom Batteriefahrzeug (Battery Electric Vehicles, BEVs), denn der Strom wird direkt an Bord aus Wasserstoff und Luft erzeugt. Die als Nebenprodukt erzeugte Wärme kann zur Beheizung des Innenraums genutzt werden. Eine Batterie unterstützt das Brennstoffzellensystem während der Beschleunigung und beim regenerativen Bremsen. Der Vorteil von FCEVs gegenüber BEVs liegt vor allem in der schnellen Betankung und großen Reichweite (ca. 3 Minuten für 500 km) sowie dem geringeren Gewicht. Sie eignen sich neben dem Antrieb von Reiselimousinen insbesondere für Busse, den Schwerlastverkehr sowie für Züge und Schiffe. Langfristig können mit grünem Wasserstoff betriebene FCEVs wichtige Einsatzbereiche der Dieselmotoren übernehmen. Bis Januar 2020 stieg die Zahl wasserstoffbetriebener Brennstoffzellenfahrzeuge von 11.200 Ende 2018 auf rund 19.000 Einheiten weltweit.
Kommerzielle, serienreife Modelle (Pkw und Lkw), bieten in Deutschland derzeit zwei asiatische Hersteller an: Toyota seit 2014 und Hyundai seit 2013. Mercedes Benz fährt seit 2018 den GLC F-CELL als Versuchsflotte. Weitere Hersteller haben erste Flotten für Mitte der 2020er Jahre angekündigt: IVECO will den Elektro- und Brennstoffzellen-Lkw Nikola TRE ab 2021 im Ulmer Werk produzieren und bis 2023 erste Modelle ausliefern. In der Schweiz sollen 1.600 Schwerlast-Lkws von Hyundai Hydrogen Mobility (HHM) bis 2025 unterwegs sein. Darüber hinaus sind an mehreren Orten Busse sowie erste Nahverkehrszüge im Linienverkehr mit Wasserstoff unterwegs. Parallel zur Markteinführung von Brennstoffzellen-Serienfahrzeuge erfolgt weltweit der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur und Wasserstoff-Tankstellen.